Interview: Jörg Schwerdtfeger von der Plattform “Ich bin Berufskraftfahrer/in und habe Respekt verdient” mit TLM Geschäftsführer Lucas Fischer

23. August 2023

Heute im Interview mit Jörg Schwerdtfeger, Gründer der Plattform “Ich bin Berufskraftfahrer/in und habe Respekt verdient” über die Nachwuchsprobleme in der Branche und welche Lösungen es geben könnte, um neues Personal anzusprechen.

 

Lucas: Hi Jörg, schön dass du die Zeit gefunden hast, gar nicht so einfach einen Termin mit dir zu vereinbaren 🙂 Aber fangen wir ganz vorne an – was hat dich dazu bewegt, eine Initiative namens “Ich bin Berufskraftfahrer/in und habe Respekt verdient” ins Leben zu rufen?

Jörg: Ich war ja 17 Jahre selbst Berufskraftfahrer. Ich kam oft in Situationen, in welchen ich mir ein Miteinander unter Kollegen gewünscht hätte. In diesem Betrieb war ich zwölfeinhalb Jahre. Ich klagte später gegen sie, wodurch das Vertrauensverhältnis brach und ich die Firma verließ. Seitdem frage ich mich ‚Was ist eigentlich in unserer Branche los?’. Die heutigen Kraftfahrer haben aufgrund einer fehlenden Gewerkschaft nicht viele Möglichkeit sich zu organisieren. Selbst die VERDI sieht Berufskraftfahrer nicht als Priorität, vielmehr bilden sich Kraftfahrerkreise um die VERDI auf. Was in dieser Branche fehlt, sind Wahrheit, Ehrlichkeit und Vertrauen. Das brachte mich 2017 dazu die Seite zu gründen und mich für Fahrer und gegen unsoziale Arbeitsbedingungen einzusetzen.

Lucas: Wie genau sieht das aus?

Jörg: Ich begann damit, Missstände in Unternehmen aufzuzeigen. Das wurde dann zum Selbstläufer und führte 2017 dazu, mir mit Facebook eine Art Litfaßsäule aufzubauen. Einmal um Einblicke in meinen Berufsalltag zu geben, um die ständigen Missstände und Dinge, die in unserer Branche nicht stimmen, anzubringen. Am Anfang lachten mich alle aus. Irgendwann hatte ich 800 Follower. Mir sind die Likes im Grunde egal. Ich habe Berichte, da sind 120.000 Likes und es gibt welche, mit nicht einmal 90 Likes. Vor allem, wenn es sich um Vorschriften und Paragrafen handelt, interessiert es weniger Leute. Man muss keine Abenteuer posten, da unser Job selbst abenteuerlich genug ist. Zu Beginn fing ich an, aus dem täglichen Leben herauszugreifen. Was ist uns wichtig, aber auch was uns belastet und was viele sich nicht trauen, auszusprechen. Später wandten sich Initiativen an mich sowie ich mich an Initiativen. Ich bin jetzt 56 Jahre alt und habe noch so viel Spaß und Potenzial dazuzulernen.Wie andere Bücher lesen oder Golf spielen, lerne ich unsere Branche immer weiter kennen. Aber am Wichtigsten ist mir das soziale Miteinander, weil das schlussendlich die wichtigste Grundlage für uns alle ist. Dafür setze ich mich ein.

 

Lucas: Verstehe. Kannst du mir sagen, welche Reichweite du mit deiner Seite im Monat erlangst, also wie viele aktive User du monatlich bedienst?

Jörg: Du kannst dir sieben Tage oder 28 Tage als Seitenbetreiber anzeigen lassen. Deswegen habe ich mich in Facebook ein bisschen verliebt, weil es wirklich eine große Reichweite hat, wenn man ein bisschen was dafür tut. Es gibt Zeiten, da habe ich 15 bis 28 Millionen Menschen erreicht. Mit einem Video auch schon einmal 2,5 Millionen Menschen. Im Schnitt liege ich bei ca. 100.000 erreichten Konten. Also Leute, die den Beitrag lesen, liken und Kommentare abgeben.

Lucas: Ja, Wahnsinn.

Jörg: Bei Facebook gibt es ‘Tools’. Hier ist die genaue Anzahl an Menschen, die mich wöchentlich blocken, mir entfolgen oder auch neu dazu kommen, zu sehen. So liege ich durchschnittlich bei ca. 1500 bis 2000 Neuzugängen und 156 Abgängen in den letzten 28 Tagen. Ist ja logisch, dass bei so einer Reichweite Konten und damit Personen erreicht werden, die vielleicht ein absolutes Desinteresse dafür oder nichts mit unserer Branche zu tun haben. Aber das ist für mich absolut in Ordnung.

Lucas: Ja, alles klar, verstehe. Natürlich wird man nicht nur in der eigenen Branche sichtbar. Genau deswegen finde ich das, was du tust auch sehr effektiv. Die Nachwuchsgenerationen werden vermutlich nicht an deinem Kanal vorbeikommen. Hast du bereits erlebt, dass sich jemand aufgrund deines Kanals für den Beruf des Kraftfahrers entschied oder ist das jetzt zu weit ausgeholt?

Jörg: Nein, ist nicht zu weit ausgeholt. Es kam des Öfteren zu intensiven Gesprächen. Es ist tatsächlich so, dass die Nachrichten sich überhäufen, zu allen Themen. Ich mache ja auch viel für Auszubildende, weil es mir am Herzen liegt. Also ich betreue sie und bin persönlich für sie da. Natürlich bin ich auch in unserem Unternehmen Ansprechpartner für sie und nehme daraus viel für meine Posts mit. Da kommen unwahrscheinlich viele Anfragen. Was mich da aber traurig macht, sind die vielen Anfragen Auszubildender unserer Branche, die negativ berichten und da ist es ganz wichtig die Mitte zu finden. Nicht alles ist wahr und nicht alles kann man nachfühlen. Ich bin da ein Typ, der nur glaubt, was er sehen, anfassen und schmecken kann. Es gibt ganz viele Unternehmer, eher Menschen, die mit Unternehmen zusammen sitzen auf meiner Seite. Beispielsweise Hersteller und deren Mitarbeiter, die das interessiert. Beispielsweise aus dem Grund, dass weniger LKW bestellt werden, weil keine Kraftfahrer eingestellt werden. Du brauchst dir als Unternehmer ja keinen LKW für 3000 € Leasingrate auf den Hof stellen, wenn keiner damit losfährt. So gibt es auf beiden Seiten Diskussion und ich werde mittlerweile auch viel per Email angeschrieben. Meine Frau sagt am Wochenende schon immer was, aber ich möchte das beantworten. Selbst bei Dingen, die ich aus juristischer oder wirtschaftlicher Sicht nicht beantworten kann, schreibe ich das. Ich sage dir aber ganz klar, wenn man so eine Seite betreibt, muss sie leben. Das ist ganz wichtig, denn du kannst nicht sagen, ich poste jetzt Dienstags und Mittwochs, dann erst wieder Freitags – dann erreichst du nichts. Stellt man dann noch ein gutes, positives Produkt vor, muss man darüber täglich berichten.

Lucas: Ja. Vor allem, wenn man es gut macht, also relevanten Content bringt, bleibt man konstant oben und erreicht solche wahnsinnigen Reichweiten, wie du. Eine andere Frage: Du hast dich ja mit deiner Litfaßsäule für Facebook entschieden. Sind die anderen Netzwerke, wie Instagram, noch zu intransparent oder ist es ein Zeitfaktor?

Jörg: Ja, ich habe ja noch einen Beruf. Der liegt täglich bei acht bis zehn Stunden. Manchmal auch länger. Zudem habe ich noch eine Lebensgefährtin, meine Kinder sind groß, aber wir wollen uns ja trotzdem mal treffen. Außerdem habe ich einen Hund, der raus muss. Jetzt kannst du dir ausrechnen, wie viel Zeit bleibt. Ich habe mit meinem Arbeitgeber natürlich das Glück, auch zwischendurch daran arbeiten zu können. Heute hatten wir zum Beispiel eine Schulungsfahrt und mussten länger warten. So geht das ganz gut. Natürlich kenne ich auch die anderen Kanäle, wie Twitter und Telegram. Da möchte ich aber nicht hin, da schon so viel Negatives über die Medien gezeigt wird. Ich glaube, das muss man dann richtig professionell betreiben. Instagram kenne und habe ich auch privat. Ich finde es zur Darstellung von Fotos und Videos sehr cool, allerdings kann man dort nicht so ausführliche Berichte schreiben, das liest einfach keiner. Dort funktionieren kurze Effekte durch Bilder oder Videos mit einer kurzen Ansprache und Überschrift, vor allem für die kommerziellen Influencer. In meiner Branche funktioniert Facebook allerdings besser; sachlich und fachlich einfach wie eine Zeitung. Man sieht ja auch, dass ich in den fünf Jahren größer wurde als so manche Fachzeitschrift, die im Schnitt um die 200 Likes erreichen, wohingegen ich ca. 300 bis 1000 Likes erreiche. Man kann schon sagen, dass Facebook das Pendant zu den Printmedien bildet. Alle großen Fachzeitschriften sind mittlerweile dort vertreten und natürlich lese ich auch die, merke aber, dass sie nicht so oft geteilt und geliked werden. Ich versuche hingegen mit meinen Artikeln das Herz zu treffen und vor allem gefällt mir der Diskurs. Man hat die Möglichkeit, auf Posts und Artikel zu reagieren und Stellung zu beziehen. Im Gegensatz zu den Printmedien, kann man seine Meinung teilen und genau das finde ich so wichtig in unserer Branche. Ich lege jedem Unternehmen ans Herz, einem Mitarbeiter ein bis zwei Stunden am Tag den Online-Auftritt zu überlassen und somit zu akquirieren – sei es kommerziell, ehrenamtlich oder im informativen Kontext.

Lucas: Ja, richtig. Da hast du auch einen guten Punkt angesprochen und damit komme ich zu meiner nächsten Frage. Vielen Unternehmen fehlt die Marketingexpertise und sie wissen nicht, was sie auf Social Media posten können. Welchen Content oder auch welche Themen empfiehlst du Unternehmen?

Jörg: Es bringt nichts als Unwissender, ohne jegliche Idee, selbst herumzuschrauben. Man sollte aber auch nicht perfektionistisch sein. Wichtig ist es, ehrlich und glaubwürdig aufzutreten. Am Anfang ist professionelle Unterstützung hilfreich, um bei Veränderungen und Aktualisierungen, beispielsweise in der Seitenansicht, seitens Facebook am Ball zu bleiben. Zudem bietet Facebook ja auch zwei Apps. Einmal für den privaten und für den Business-Gebrauch. Es gibt viele Kleinigkeiten, die man mit der Zeit lernt. So kann man beispielsweise Berichte vordatieren, die automatisch gepostet werden. Alles eine Frage guten Managements. Vor allem ist es immer ein Zeitfaktor. Daher empfehle ich immer, vor allem zu Beginn, mit einem Profi zu arbeiten. Sicher bedeutet das einen Kostenaufwand, aber einmal einen Profi an der Seite und man lernt, welchen Content man wann und wie posten soll. Natürlich kann auch jeder selbst starten und immer wieder posten, dass seine Reifen die besten sind, allerdings liest das schon nach kurzer Zeit niemand mehr. Um meinen Content aber effizient und glaubwürdig rüberzubringen, hatte ich anfangs auch einen Profi an der Seite, der mich an alles heranführte. Das muss man heute einfach machen und können. Früher waren es die gelben Seiten und die letzten drei Seiten der Tageszeiten, das reicht heute schon lange nicht mehr, da fast alles ausschließlich online stattfindet.

 

 

Lucas: Ok, sehr schön. Ich finde das auch sehr interessant, da wir bei uns unsere Kunden im Social Media Management schulen. Wie du schon sagtest, lebt Social Media von diesen echten und oft auch unperfekten Sachen. Bei dir ist es sicherlich auch so, dass du nicht den ganzen Monat voraus planst und stattdessen von Tag zu Tag überlegst.

Jörg: Absolut, ja. Klar gibt es auch Veranstaltungen, von der ich schon eher weiß und meinen Content vorbereiten kann. Die Kleinigkeiten, die es aber so lebendig und interessant machen, sind die Posts, die aus Gedankengängen oder Erinnerungen an bestimmte Situationen entstehen. Diese kommen dann meist spontan und an dem Tag selbst. Zumal ist es auch einfach authentisch, dass ich alles nur über mein Handy mache. Ich habe nicht nur kurze Texte, da verstecken sich also des Öfteren Fehler, da ich keine Korrektur lese. Meine Frau ruft mich dann manchmal an, wenn ein Post sehr viral geht und sie beim Lesen Rechtschreibfehler entdeckt.

Lucas: Haha, ja na klar, das macht es ja so echt. Genau dafür steht Social Media ja auch. Dieser echte, unperfekte, über das Smartphone gepostete Content wird in den Reichweiten mitunter begünstigt.

Jörg: Ja genau und das ist der Punkt. Geht es um die Darstellung und Präsentation des eigenen Unternehmens, muss man sich marketingtechnisch professionelle Unterstützung, wie euch, holen. Bei mir ist das was anderes, ich mache das als privater, einziger Administrator der Seite.

Lucas: Gut, dass du das so siehst. Unsere Erfahrungen bestätigen das und zeigen, dass man die Unternehmen schulen muss. Gerade als externe Agentur hat man nicht den Einblick in das unternehmerische Geschehen, da man nicht vor Ort sitzt, um alles mitzubekommen. Natürlich greifen wir unter die Arme und helfen, allerdings sagten wir zu all unseren Kunden, dass für dieses Thema langfristig jemand eingestellt werden muss, der das betreut.

Lucas: Richtig. Das ist auch die einzige Möglichkeit, langfristig zu bestehen. Nur mit eigenem Personal, was sich voll und ganz auf das Thema Marketing im Unternehmen konzentriert.

Jörg: Genau und vor allem diese Kleinigkeiten, die es lustig und lebendig machen, kannst du als externer Dienstleister gar nicht erkennen. Beispielsweise sehe ich bei uns jemanden, der den Anhänger nicht los bekommt, fotografiere das und halte es in einem Post mit den Worten, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, fest. Das siehst du natürlich nur, wenn du selbst vor Ort bist und beobachtest.

 

 

 

Lucas: In Ordnung, kommen wir doch mal zum wichtigsten Thema, was mich auch am meisten interessiert: das Thema Nachwuchsgewinnung. Um politisch und gesellschaftlich nicht zu weit auszuholen, konzentrieren wir uns mal auf den marketingtechnischen Aspekt. Ich habe die Befürchtung, dass die Branche gänzlich vom Radar der Nachwuchskräfte verschwinden, wenn wir und die Unternehmen allgemein nicht möglichst bald Social Media für sich entdecken und verwenden.

Jörg: Guter Punkt, man muss aber dennoch schauen, in welcher Branche man sich befindet. Ein großer Punkt ist der Verdienst. Ich nenne diese Berufe “an-Mindestlohn-gekettete Berufe”. Das fängt beim Lastwagenfahrer an und hört bei der Altenpflege nicht auf. Da muss eigentlich erst in den eigenen Reihen aufgeräumt werden. Wirbt man in der Stellenanzeige also beispielsweise mit falschen Versprechen, wird es schwer. Aber ich gebe dir Recht. Viele Anzeigen sind oft altmodisch und werben mit Aussagen wie “wir zahlen pünktlich”, das ist doch eine Selbstverständlichkeit in 2022, oder? Das muss ich doch nicht erwähnen, vor allem nicht, wenn nur Mindestlohn gezahlt wird.

Lucas: Richtig, richtig. Mir geht es aber vor allem um die Generation Z. Jede Generation hat ja ihre Werte. Die Babyboomer empfanden einen Job zu haben als das Nonplusultra. Die Generation Z allerdings legt hohen Wert auf den zeitlichen Faktor und eine gute Work-Life-Balance. Die haben ja aber auch den Luxus, nicht mehr selbst auf Jobsuche gehen zu müssen, stattdessen werden sie gefunden bzw. proaktiv angespielt.

Jörg: Wenn andere Branchen dieses Anspielen also besser beherrschen als wir, nehmen die uns die jungen Leute weg, richtig. Ich sehe das ja bei meinen Söhnen, die sind 22 und 25. Ich versuche bei ihnen und in deren Freundeskreisen mitzukriegen, was sie mögen und worauf sie bei einem Betrieb wert legen und da ist es teilweise erstaunlich, was sie für Wünsche und Forderungen haben.

Lucas: Absolut, ja. Es ist ja auch oft so, dass die Medien das Bild des Kraftfahrers eher negativ und die Arbeitsbedingungen oft schlecht darstellen. Subjektiv gesehen schlechter als in beispielsweise der Pflege und dem Handwerk. Wie siehst du das?

Jörg: Ja, also ich muss sagen, dass alle Berufe, die mit Liebe und Anstand ausgeführt werden, den gleichen Wert besitzen. Mein Slogan „ich bin Berufskraftfahrer und habe Respekt verdient” kann natürlich auf alle anderen Branchen bezogen werden. Allerdings will ich betonen, dass keine andere Branche an ihrem Arbeitsplatz, schläft, wohnt, lebt und alles andere am Arbeitsplatz organisiert; das macht nur der Kraftfahrer. Vor allem im Fernverkehr ist der Kraftfahrer ein Einsiedler und da müssen die Unternehmen ansetzen. Es gibt so viele Modelle, wie die 4-Tage-Woche etc. Wie die Unternehmen ihre Auszubildenden überzeugen, beginnt vor allem beim Finanziellen. Wir zahlen beispielsweise die doppelte Ausbildungsvergütung, wie sie die IHK vorschlägt, nach dem Bestehen des Führerscheins. Das passiert ca. in den ersten acht Wochen. So haben die jungen Auszubildenden die Möglichkeit, etwas zu sparen und das Gesparte beispielsweise in das erste eigene kleine Auto oder eine eigene Wohnung zu investieren. Das ist doch motivierend und ein super Anreiz. Ganz wichtig ist natürlich der soziale Aspekt und das Miteinander. Bei uns werden die jungen Leute parallel zur Fahrschule in die Werkstatt geschickt. Dort arbeiten sie gut betreut, mit Geselle, Meister und anderen Fahrern an der Hand. Sie wissen nach den ersten Wochen schon, mit dem Equipment auf dem Hof umzugehen. Oft machen wir die Tore zu und dann wird gefahren. Natürlich unter Einhaltung der StVO nur auf unserem Hof. Wir lassen unsere Azubis selbstständig arbeiten und das merkt man. Andere Firmen machen das nicht. Da ist der Auszubildende eine günstige Arbeitskraft im Lager, wenn der Geselle mal im Urlaub ist. Oft wird den Azubis, ohne es bewusst schlecht zu meinen, nichts zugetraut. Die LKW dürfen nicht mal auf dem Hof gefahren werden und selbstständiges Arbeiten ist unerwünscht. Unsere Azubis haben Spaß und fühlen den respektvollen Umgang. Sie bauen mit der Zeit ein ehrliches Vertrauen zu uns auf und wissen, dass auch wir ihnen vertrauen, indem wir ihnen teures Equipment an die Hand geben. Das ist doch mehr Wert als alles andere. Zumal der Spediteur im ersten Lehrjahr viel Geld investiert, allein schon für den Führerschein, wünscht man sich doch die Azubis zu übernehmen. Die meisten gehen allerdings, wohingegen bei uns ca. 85 % nach dem Abschluss bleiben. Ich weiß, wir wollten nicht über Politik reden und am Ende zählt der Zusammenhalt, egal in welcher Branche. Natürlich muss man den Beruf nicht in den Himmel heben, aber wir sind ein wichtiges Glied in der Versorgungskette und dieser Aspekt führt zusammen mit einem respektvollen Umgang mit den Lehrlingen, der gelebt und nach außen kommuniziert wird, dazu, dass mehr Auszubildende diesen Beruf wählen.

Lucas: Ich kann dir nur zustimmen. Gehen wir davon aus, du hast die Chance eine deutschlandweite Imagekampagne für den Beruf des Fahrers zu starten. Kannst du mir ad hoc beantworten, wie diese aussehen sollte?

Jörg: Das Erste, was mir einfällt, ist ein richtig geiler Imagefilm. Das bedeutet, der Film muss echt und ehrlich sein und alles hervorbringen, was den Job ausmacht.

Zum anderen wünsche ich mir, dass Betriebe, die einen großen Fuhrpark besitzen, einen LKW zum Auszubildenden-Truck machen. Das heißt ein LKW, der auch von innen schon einmal exzentrischer und evtl. jugendlicher gestaltet ist. Nehmen wir beispielsweise eine Route von Leipzig nach Wolfsburg. Auf der Autobahn muss man auch schon am Fahrerhaus

erkennen: Hier fährt der Azubi. Außen kann doch sowas stehen wie „Auszubildender-Truck oder -Brummi – wir bilden aus, wir sind für dich da!”, mit dem passenden Imagefilm dazu auf der Homepage und im Internet. Einer, der nicht nur zeigt, wie er fährt, sondern deutlich macht, wie breitgefächert die Ausbildung ist. Sodass klar wird: ich bin Berufskraftfahrer, ich bin Lagerist, ich bin Bürokraft. Eine Kampagne, die zeigt, was das Unternehmen zu bieten hat, nicht nur an Equipment, sondern auch an Chancen und Vertrauen. Vor allem, weil man natürlich Haupt- und Realschüler anspricht.

Lucas: Sehr, sehr gute Ideen. Dir ist es also vor allem Videocontent wichtig. Wie würdest du ganz speziell die Zielgruppe Nachwuchsfahrer/in ansprechen?

Jörg: Ja, also das ist ganz unterschiedlich. Meist werden die Azubis noch über Mundpropaganda geworben. Zumindest bei uns. Tatsächlich haben wir Azubis, die eigentlich von den Eltern aus im Handwerk lernen sollten, aber auch eine junge Frau. Sie kam durch ihren Freund zur Ausbildung, da er bei uns lernte und sie ab und zu mitnahm. Aber natürlich kommunizieren wir die Anforderungen vorher und sortieren demnach auch aus. Es ist eben nicht nur mal eben fahren. Im Betrieb wird alles nötige Equipment bereitgestellt, alles technische und praktische vermittelt, aber die Prüfung wird vor der IHK bestanden. Bei uns wird so zum Beispiel der Führerschein Klasse B vorausgesetzt. Die meisten, die kommen denken, einmal Klasse B bestanden, dann klappt das hier auch. So ist es aber nicht. Im Moment wird nicht nach außen getragen, welche modernen und technisch versierten Fragen und Anforderungen mittlerweile dahinterstecken. Das kann man den zukünftigen Auszubildenden aber trotzdem schmackhaft machen und eben auch deutlich machen, dass die Ausbildung und der Beruf Spaß machen und fordernd sind. Unternehmen sollten zukunftsorientiert Werbung betreiben. Gern auch frech, denn das ist die Generation von heute. Sie wollen dabei sein und Teil von etwas sein und ein Unternehmen, das dieselben Vorstellungen hat, gewinnt. Oft wird gar nicht deutlich, welche Verantwortung die Berufskraftfahrer und auch schon Azubis haben. Bleibt ein LKW stehen und kann nicht weiterfahren, führt das zu Produktionsstopp an der einen Stelle und zu fehlender Ware im Verkauf an der anderen.

 

Lucas: Also bist du auch der Ansicht, dass man eine Kampagne starten sollte, die das allgemeine Ansehen des Berufskraftfahrers wieder in ein besseres Licht rückt?

Jörg: Ja! Das ist ganz wichtig und auch der Grund, wieso ich bei Posts, die sich darum drehen, auch mal zuschreibe, dass bitte geliked und geteilt werden soll. Vielen ist offenbar nicht klar, dass das immer schlechter werdende Bild irgendwann einen Einbruch oder Stopp in der Versorgungskette bedeutet und die Eisenbahn eben nicht bis vor den Supermarkt fahren kann.

Natürlich kann auch irgendwann eine Drohne das ein oder andere Paket liefern, aber davor brachte sie der LKW und sein Fahrer zum Lagerpunkt. Über 80 % der Transportgüter weltweit werden mittels LKW transportiert. Viele sagen, das sei ja deren Job. Richtig, aber das macht es nicht selbstverständlich und deswegen muss am Image etwas getan werden. Nur so kann das Bild und die Notwendigkeit dieses Berufs wieder richtig dargestellt werden. Sicher gibt es auch schwarze Schafe, die in Jogginghose aussteigen, aber in welcher Branche gibt es keine. Zugleich gibt es aber Firmen, die ihre Mitarbeiter mit hochwertiger Arbeitsuniform ausstatten. Wenn richtig kommuniziert wird, wie viele es richtig und gut machen, verschwindet irgendwann das schlechte Image. Eine kleine Geschichte, die zeigt, wie schlecht der BKF betrachtet wird in der Gesellschaft, erlebte ich mit meinem Stand auf einer Ausbildungsmesse. Es standen einige interessierte Schüler bei mir, als plötzlich eine Mutter von weitem ihren Sohn zu sich rief. Sie meinte, er müsse sich sowas gar nicht weiter anschauen, da das der Onkel machte und nie zuhause war. Ich fand es am Ende fast lustig, da auf einmal auch alle anderen Interessierten verschwanden. Da muss sich dringend etwas in den Köpfen der Leute ändern.

Lucas: Vielen Dank, Jörg. Zum Abschluss möchte ich dir noch eine letzte Frage stellen. Du hast einen großen Fundus an Geschichten, aber gibt es eine Geschichte, die du erlebt hast, die dir zeigte ‘ich bin richtig als Kraftfahrer, ich liebe meinen Job’?

Jörg: Ich überlege… Ich erzähle dir gerne eine von früher. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man früher als Kraftfahrer noch eine richtige Gemeinschaft mit seinen Kollegen hatte. Es gab einmal eine Situation, da habe ich im Möbel-/Werksverkehr gearbeitet. Wir hatten damals einen Treffpunkt in Mitteldeutschland. Dort kamen wir alle nach unseren Touren zusammen, nur einer war noch leer und hatte 15 km entfernt noch einen Abladeauftrag. Wir sind dann am nächsten Morgen alle zusammen mit unseren LKW dorthin gefahren und haben mit unserem Klaus abgeladen, damit der mit uns zusammen nachhause fahren kann. Das ist mir bis heute im Gedächtnis. Eine andere Situation hatte ich in Frankreich auf einem Rastplatz zwischen dutzend türkischen LKW und ihren Fahrern. Ich habe noch nie so eine Gastfreundschaft erlebt. Solche Geschichten verdeutlichen, wieso mir die Gemeinschaft und das Miteinander so wichtig sind. Abschließend möchte ich noch sagen, dass so weiter zu machen wie bisher nichts ändern wird. Es gibt genügend Menschen höheren Alters in der Branche, die sich vor der Nutzung moderner Möglichkeiten nicht scheuen und stattdessen sagen ‘ich will das auch, ich will helfen’. Wenn alle beginnen so zu denken, erhält das alles eine ganz andere Priorität. Der Berufskraftfahrer ist ja auch international unterwegs. Klar ist man nicht oft zuhause. Viele junge Menschen haben Fernweh, was passt da besser als Touren durch Genua oder Marokko? Ich habe Kollegen, die sind 20 Jahre durch die Welt getourt und können dir heute mehr erzählen, als wir uns ausdenken können. Allerdings machen das viele deutsche Unternehmen nicht mehr.

Lucas: Ja, das ist richtig. Mit dem Fernweh werben wir für einige unserer Kunden auch. Es gibt noch viele, die genau das möchten. Abschließend möchte ich dich noch bitten ein Statement an die Unternehmen abzugeben. Welchen Appell hast du, bzw. was empfiehlst du Unternehmen, die marketingtechnisch starten möchten?

 

Jörg: Da bleibe ich wieder bei meinen Worten Ehrlichkeit und Vertrauen. Macht kleine Filme, die eure Werte und Vorzüge widerspiegeln. Zeigt euch wie ihr seid und positioniert euch. Zeigt eure Disponenten, wie sie die Köpfe zusammenstecken, wie die Kraftfahrer selbst Hand am LKW anlegen und gebt einen Einblick in den facettenreichen Alltag der Transport- und Logistikbranche. Wenn ihr als Unternehmen keine Ahnung davon habt, ist das nicht schlimm. Seid klug und investiert, wie ich, zu Beginn in einen professionellen Partner und startet, ohne euch zu blamieren.

Lucas: Sehr schön Jörg, vielen Dank!

 

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